Festanstellung, Nein Danke!

Claudia Decker hat dieses Jahr ein Jubiläum, denn vor vierzig Jahren hat sie ihren Beitrag für den Bayerischen Rundfunk geschrieben. Seit ihrer Hospitanz 1976 ist sie dem Notizbuch auf Bayern 2 treu geblieben. Dank ihrer Liebe für Features hat die freie Journalistin einiges erlebt: Sie war mit Arbeitsbrigaden in Nicaragua unterwegs, hat Alaska bereist bis an die Nordkante des Kontinents, bei Nonnen in Südafrika gelebt, hat als Freiwillige für die UNO ein Jahr in Kambodscha gearbeitet, ist mit einer Salzkarawane durch die Sahara bis nach Timbuktu marschiert und hat Audrey Hepburn und Raissa Gorbatschowa interviewt. Eine Festanstellung kam für sie nie in Frage. Was diese Entscheidung mit ihren Erlebnissen zu tun hat, hat sie uns im Interview verraten.

Du machst gerne Features für das Notizbuch und warst dafür schon in Nicaragua, in Kambodscha und in Südafrika. Wie kommst du an diese Geschichten?

Da ich schon immer als „Freie“ gearbeitet habe, konnte ich immer selbst entscheiden, über was ich berichte. Ich war beispielsweise als junge Frau in der Friedensbewegung sehr aktiv und auch sehr politisch interessiert. So wollte ich zum Beispiel wissen, was in den 80ern in Nicaragua los war. Als die sandinistische Regierung Jugendliche aus der ganzen Welt aufgefordert hat, nach Nicaragua zu kommen, um sich selbst ein Bild davon zu machen, wie die Contras die Bevölkerung terrorisiert und die noch schwache Demokratie gefährdet, ist sie mit einer Friedensgruppe hingefahren. Die Contras wurden hauptsächlich von den USA unter Präsident Reagan finanziert, sabotierten Ernten, überfielen landwirtschaftliche Kooperativen  und schreckten nicht vor Mord zurück. Das destabilisierte das Land, das unter diesem Druck Hilfe im Ostblock suchte. Es war die Zeit des Kalten Krieges, und die USA hatten mit Nicaragua ein Land in ihrem “Hinterhof” verloren, dessen Diktator Somoza sie bis zuletzt unterstützt hatten. Da wollte ich Augenzeugin sein, nichts wie hin und selbst sehen und erleben, was es für ein kleines Land heißt, im Hinterhof der Amerikaner einen unabhängigen Kurs zu fahren. So habe mich einer damals so genannten  Arbeitsbrigade angeschlossen, das waren Leute von Pax Christi aus Bremen.

Das heißt, du hast das in erster Linie aus privatem Interesse getan?

Ja, ich wollte wissen, was in dem Land passiert. Nicht als rein journalistische Beobachterin, sondern indem ich mitgearbeitet hab mit den Einheimischen, Tabak pflücken, Kaffee pflücken. Nach meiner Reise konnte ich dann schließlich auch eine ganze Sendung über meine Erlebnisse dort füllen. Aber das war nicht meine ursprüngliche Motivation dorthin zu reisen. Die Sendung konnte finanziell auch gar nicht aufwiegen, wie viel ich selbst investiert habe, denn die “Brigadisten” mussten ihre Kosten selbst tragen. Es gab damals, Mitte der 80er Jahre, so viele von ihnen, auch solche, die mehr oder weniger diszipliniert mit ihrem Rucksack durchs Land schlurften und typischerweise – das Klischee stimmte – Birkenstock-Sandalen trugen, dass sie in der deutschen Presse spöttisch “Sandalistas” genannt wurden.

War bei all deinen Reisen ein politisches Interesse dahinter?

Ohne das macht unsereins das ja gar nicht. Deswegen habe ich auch ein Jahr lang in Südafrika gelebt. Ich habe damals viel über die Apartheid und die Boykottbewegung bei uns berichtet. Und bei einem meiner Beiträge hat ein Interviewpartner mich spöttisch gefragt, ob ich denn überhaupt schon einmal in Afrika gewesen sei. Ich musste damals verneinen, damit hat mich dieser Mann schon gar nicht mehr ernst genommen. Da wusste ich: es reicht mir nicht, wenn ich nur darüber lese, die Secondhand-Erfahrung, ich will das selbst erleben. Also hab ich monatelang bei allen möglichen Organisationen angefragt und einen Anker gesucht und dann  bin ich nach Südafrika gefahren, aber wieder nicht als Journalistin, sondern, um in einem Kloster gegen Kost und Logis zu arbeiten.

Das war das Beste, was mir passieren konnte, denn die Nonnen dort hatten ein tolles Netzwerk, in dem sie mich herum reichten, und sie haben mich überall hin mitgenommen. Sie waren selbst Gegnerinnen der Apartheid und ungeheuer inspirierend für mich. An anderer Stelle hätte ich nie so viele Erfahrungen machen können. Solch ein Glück gehört halt auch dazu für Journalisten. So erfuhr ich durch sie von einer Multi-Kulti-Zeitschrift für Kinder in Kapstadt und konnte dort einen Monat lang hospitieren, sogar zwei Geschichten schreiben.  Ich bin auch kreuz und quer und von Süd nach Nord durchs Land gereist. Und nach ein paar Monaten, als ich mich auskannte,  habe ich mir in Johannesburg  eine Wohnung gemietet, um freier zu sein und habe hier und da gearbeitet, vor allem aber auch immer weiter Leute getroffen, die in der Anti-Apartheidbewegung waren und mir erklärten und zeigten, was das für das Land bedeutet. Ein tolle Zeit des Lernens und Begreifens.

Wie hast du diese Erfahrungen dann journalistisch genutzt?

Ich wusste schon nach drei Wochen, dass ich über meine Erfahrungen in Südafrika ein Buch schreiben möchte. Also habe ich von da zielgerichtet Kontakte gesucht, immer mit der enormen Unterstützung und Ermunterung dieser Nonnen, die natürlich ein enormes Insiderwissen hatten, allein schon durch ihre sozialen Berufe. Ich kann nur betonen: Großes Glück für mich. Ich hab  Aufnahmen gemacht und Erfahrungen gesammelt. Als ich ein Jahr später nach München zurückkam, konnte ich wieder mehrere Sendungen machen und hab mein Buch geschrieben. Mit dem habe ich zwar nichts verdient, wenn man bedenkt, dass ich ein Jahr unterwegs war und dann noch neben meiner Radio-Arbeit ein halbes Jahr dran geschrieben habe, aber das war es mir wert. Es ist toll, ein Buch geschrieben zu haben, für dessen Inhalt man sich auch Jahre später nicht genieren muss. Es ist auch heute noch nicht einmal überholt, weil es Lebensgeschichten enthält, die nachvollziehbar machen, wie es zu einem solchen Staat kommen konnte, nach dem Zweiten Weltkrieg, als Rassismus durch die Nazis weltweit diskreditiert schien.

Mein persönliches Interesse, meine Neugierde auf die Welt und darauf, zu verstehen, warum Menschen tun, was sie tun, wie Gesellschaften funktionieren, das alles wurde zu meinem Antrieb. Und war die Flamme einmal entzündet, gab’s kein Halten mehr und die nächste Reise stand an.  

Was war deine beeindruckendste Erfahrung in Zusammenhang mit deiner Radioarbeit?

Ich war einmal bei einem Pop Konzert in Soweto dabei. Es war eine tolle Stimmung an diesem Fußballstadion an einem Sonntag. Überall um mich herum waren fast nur schwarze Menschen, eine Handvoll nur weiße, die alle friedlich und total relaxed die Supermusik und den Supertag genossen. Bis sich plötzlich, als die Sonne gegen sechs Uhr unterging, Polizisten mit ihren Gewehren auf der Bühne aufreihten, breitbeinig, sehr martialisch und bedrohlich  eine Mauer bildeten. Der Veranstalter informierte, das Konzert müsse sofort beendet werden,  es sei sechs Uhr, so sei es vereinbart. Ein Pfeifkonzert von uns Tausenden in der Arena und auf den Tribünen war die Antwort, und in Nullkommanichts schossen die Polizisten mit Tränengas. Panik brach aus, wir rannten alle aus der Arena, die Tribünen hoch zu den Ausgängen, dicht gefolgt von den Polizisten, die mit langen Peitschen versuchten, auf die flüchtenden Menschen einzuprügeln. Es war ein Geschrei, ein Heulen und Schimpfen – so einen Hass hatte ich noch nie erlebt. Da war eine Wut in den Gesichtern der Menschen zu sehen, gespeist von Angst und Ohnmacht –  ein Hexenkessel und ich war mittendrin.  

Oben an einem Ausgang angekommen fühle auch ich mich gerettet und sehe  alles das, diese wütende Verzweiflung der Leute. Auf ein Mal nimmt mich ein junger schwarzer Mann, der wild gestikuliert und vor sich hin schreit, in’s Visier. Er kommt auf mich zu und schlägt mich nieder. In dem Moment bin ich für ihn  nur die Feindin, egal, ob ich solidarisch fühle oder nicht, in so einem Moment spielt das keine Rolle. Ich liege also am Boden und sehe diese Leute um mich, die rasend sind und die jetzt aufmerksam auf mich werden. In diesen wenigen Sekunden sagt mir mein Instinkt oder was auch immer: wenn sich der wütende Kreis jetzt um  mich schließt, bist du verloren. Irgendwie rappel ich mich sofort auf und renne  zurück in’s Stadion. Zurück zu den Polizisten, die dieses Desaster ja erst  ausgelöst haben. Verrückt, jetzt sind sie meine Beschützer. Im spärlichen Gras der Arena liegt reglos ein Mann. Er ist in der Panik totgetrampelt worden.  Die Polizisten haben mich dann schließlich in einem gepanzerten Fahrzeug zu einer Polizeiwache in Soweto  mitgenommen. Und einer hat mich nach Schichtende zu meiner Wohnung in Johannesburg gebracht. Ich fühlte mich wie eine Überlebende.

Dabei wolltest du mit der Apartheid-Polizei nichts zu tun haben…

Über die ich aber jetzt heilfroh war, weil sie jetzt mich schützten. So kann’s gehen im Leben. Ich hatte gelesen von Leuten, die in solchen “Riots” ermordet worden waren, obwohl sie viel für die Schwarzen getan hatten, sogar im Township unter ihnen lebten und als Apartheidgegner bekannt waren.

Aber in so einem Hexenkessel sind Menschen außer Rand und Band und nichts anderes zählt mehr. Sie sind dann unberechenbar. Du weißt nie, wann du dran bist. Eine Situation kann leicht umkippen, wenn nur der richtige Funke kommt. Als ich da am Boden lag, das war so eine Situation. Das war Gewaltbereitschaft, genährt über Jahrzehnte. Aber ich verstehe die Kriegsreporter. Manchmal muss man einfach nah dran sein, mitten drin sein, man muss hingehen, wo “es” passiert. Das ist dann das Berufsrisiko.

Muss man dafür ein bestimmter Typ Journalist sein? Jemand, der das Risiko wagt?

Das hat weniger mit Temperament zu tun. Einer der ersten journalistischen Opfer des Jugoslawien Krieges war zum Beispiel Egon Scotland, ein Korrespondent der Süddeutschen Zeitung. Das war ein stiller, fast unscheinbarer Journalist, der kein besonders Gewese von sich gemacht hat oder als Haudegen aufgetreten ist. Er war bekannt dafür, umsichtig und besonnen zu agieren. Aber wenn man an Plätzen ist, die Brennpunkte sind oder werden können, wo es also gefährlich zugeht, dann muss man als Journalist einfach nach vorne, in die Frontline. Sonst hat man ja nur Informationen aus zweiter Hand. Kann unsereins damit zufrieden sein? Nein ! Die eigenen Augen sehen immer noch was Anderes als die der Kollegen.  Und mit eigenen Worten klingt es anders als im Text der Kollegen.

Reisen wohin man will – das geht leichter als freier Journalist. Muss man sich also irgendwann entscheiden? Entweder immer frei bleiben und machen was man will, oder aufsteigen und eine Ressortleitung übernehmen?

In unserem Beruf gibt es so viele Wege, das war halt mein Weg. Für mich war seit Nicaragua klar: Sowas kann ich nicht mehr machen, wenn ich fest angestellt bin. Ich bin auch gar nicht gut als Festangestellte. Mit fremden Manuskripten zum Beispiel komme ich nicht klar. Ich habe für eine Zeitlang ein Auslands-Notizbuch betreut, einmal im Monat wurde das gesendet,  und da hab ich einmal derart in einem Manuskript herumredigiert, dass die beiden Autorinnen empört waren. Ich als Redakteurin wäre eine Fehlbesetzung gewesen.

Außerdem bin ich notorische Langschläferin und Nachteule. Ich gehe lieber erst spät in den Sender und treffe mich an schönen Tagen vorher noch mit Freunden im Café. Auch allein bin ich eine begnadete Cafésitzerin.  Für mich ist das Lebensqualität, meinen persönlichen Arbeitsrhythmus beibehalten zu können, eine Freiheit, ein Privileg.  Das Tolle an unserem Beruf ist eben auch, dass man diese Wahl hat, fest oder frei zu arbeiten. Zumindest in meinen Anfangsjahren beim Radio gab es diese Wahl. Heute ist das nicht mehr ganz so leicht. Aber Qualität setzt sich auch heute durch.

Alle Bilder © Claudia Decker 

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Über Claudia Decker:

Mit 20 Jahren ging Claudia Decker von zuhause weg, kam vom Bauerndorf am Niederrhein in die Olympiastadt München. 1973 begann sie dort den Modellstudiengang an der Deustchen Journalistenschule, der praktische Ausbildung mit einem Studium an der LMU kombinierte. Ihre erste Radio-Erfahrung machte sie beim Notizbuch, damals noch auf Bayern 1 und nur eine Stunde lang und das renommierteste und frechste Vormittagsmagazin. Sie blieb dort hängen, bis auf ihre vielen Reisen, zuletzt im Jahr 2003 durch die Sahara bis Timbuktu. Beim Notizbuch wird sie von ihren Kollegen heimlich die „Featurekönigin“ genannt. Für ihr nächstes Feature besuchte sie eine 91-jährige Bosnierin, die die seit 77 Jahren in ihrer Wohnung in Sarajevo lebt. Selbst in der dunkelsten Zeit, während der Belagerung Sarajevos, ist sie dort geblieben. Zu hören im Notizbuch auf Bayern 2 am 5. Oktober, zwischen zehn und zwölf.

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